Das Prinzip der Maske
Über Britta Jonas’ aktuelle Wandarbeit mit dem Titel „Draperien“ von Hortense Pisano
„Wenn Frauen ihren Mund rot schminken oder rote Fingernägel haben, signalisieren sie Stärke. Sie locken, gleichzeitig zeigen sie aber auch Abwehr oder besser Wehrhaftigkeit. Es ist wie ein Kostüm, das man überstreift, wie eine Maske“.1 Dass Britta Jonas in diesem Zitat, entnommen einem 2008 geführten Interview, bereits das zentrale Motiv ihres gerade fertig gestellten Projektes anspricht, ist kein Zufall. Tatsächlich ist das Sujet der „Maske“ oder das „Maskenhafte“ (das Ver- und zugleich Enthüllt-Sein) signifikant für alle jene automatenhaften Figuren und fabelhaften Mischwesen, die ihre comicartigen Animationsfilme, Zeichnungen, Siebdrucke sowie Installationen bevölkern. Neben der Formgebung folgt auch die Farbwahl nach einem Grundprinzip: So verwendet die Künstlerin oft einen kräftigen Rotton, um die Dramatik der meist aus einer Abfolge von Szenen bestehenden Arbeiten zuzuspitzen. Rot leuchtet etwa die herausgetreckte Zunge einer Frauengestalt in dem Animationsfilm „Der Tanz“ (2006) auf. In der Serie „Männer in Anzügen“ (2007) sticht die rote Krawatte einer Figur ohne Kopf aus dem Gesamtbild hervor.
Britta Jonas neue Wandarbeit konfrontiert uns nicht nur mit dem soeben erwähnten Motiv des kopflosen Anzugträgers. Antike Theatermasken, wovon ihr gleich mehrere als Vorlage dienten, bilden den Blickfang einer insgesamt vierteiligen Figurengruppe. Auf ihre Vorliebe für rote Farbakzente hat Jonas’ explizit verzichtet. Stattdessen heben sich die eigens für das Plaza des Commerzbank Towers angefertigten Folienprints in einem dunklen Braunton von den hellen Hintergründen ab. Mit weit geöffnetem Mund und diabolisch geschlitzten Augen, derart ausdrucksstark blicken die rund 1,40 cm großen Gesichtsmasken, angebracht jeweils auf Pfeilern, den Passanten entgegen. Dort, wo also ein schnelles Kommen und Gehen an der Tagesordnung ist, fordern Jonas’ Bildmotive zum Innehalten, zum Blickkontakt auf.
Jean-Luc Nancy, Autor des Katalogtextes „Maskiert und demaskiert“2, schreibt über die Suggestivkraft der Gesichtsmaske: „Als Maske (von arab. „maskhara“: Scherz, Posse, Spaßmacher) bezeichnet man einen Gegenstand, der etwas vortäuscht. Dies wiederum erweckt den Anschein einer Hinwendung.“ Je nach Ausdruck lässt sich ein Appell, Befehl oder eine Verführung auf dem nachgeahmten Gesicht ablesen.
Jonas’ hat die Mimik ihrer Maskenbilder jedoch einer eindeutigen Lesbarkeit entzogen. Ein freudiges Lachen oder auch tiefer Schrecken, beide Gefühlsregungen bilden sich auf den dargestellten Gesichtern ab. Gerade ihr undefinierbarer Ausdruck macht die Faszination der Gesichtsmasken aus.
Was die generell großen, löwenartigen Augen der antiken Theatermaske betrifft, führt Erika Simon diese Merkmale auf ein Vorläufermodell zurück. „Die am häufigsten auftretende Maske von der früharchaischen Kunst bis in die Spätantike“, so Simon, „ist das Antlitz der Gorgo Medusa, das Gorgoneion.“3 Doch nicht nur die weit aufgerissenen, furchteinflößenden Augen der Medusa, deren bloßer Anblick genügte, um ihre Gegner gemäß der griechischen Sage zu versteinern, gelten als typisch für die Theatermaske. Eng verwoben ist deren Entwicklung mit dem, um den Gott Dionysos betriebenen, Kult. War es anfangs ein auf einer Säule befestigtes Kultbild, das von den Griechen verehrt wurde, verwendeten die Schauspieler der antiken Tragödien alsbald eine Maske aus Leinen, um derart verhüllt das Antlitz des Gottes Dionysos zu mimen. Dass ein Schauspieler einen Gott verkörpern konnte, war möglich, weil Dionysos als Förderer der Ekstase galt, der das Heraustreten den Menschen aus sich selbst bewirken sollte.
Wie ein Nachhall auf die Attribute des Dionysischen wirken Jonas’ expressive Maskengesichter, deren Farbton als auch ansatzweise verspieltes Muster ein Gegenmodell zur lichtdurchfluteten modernistischen Glasbauarchitektur des Bankhochhauses entwirft.
Vermutlich hätte Adolf Loos, ein strikter Vertreter des von jeglichem Ornament befreiten funktionalen Bauens, die Anlehnung der Künstlerin an das Formenvokabular der Antike als ein „Verbrechen“ 4 bezeichnet. Allerdings strebt Jonas, Jahrgang 1972, weder nach einer Wiedereinführung des Ornamentes noch nach einer getreuen Nachahmung der Originale. Die Künstlerin verfolgt insofern einen konzeptionellen Ansatz, als sie ihre Vorlagen mithilfe unterschiedlicher Medien zunehmend abstrahiert: Ihre zuerst gefertigten Zeichnungen wandelt sie in ein reduziertes Scherenschnittmuster um, das am Computer nochmals digital nachbearbeitet wird. Es bilden sich einprägsame Icons heraus, stimmungsvollen Nachbilder, die sich durch ihre einheitliche Farbgebung und Betonung der Konturen gezielt einer dreidimensional nachgestellten Wirklichkeit (wie sie erstmals das antike Schauspiel anstrebte) entziehen.
Es gehört zu Jonas’ Strategie, ihre schematisch vereinfachten Motive durch das Hinzufügen eines anderen Bedeutungsträgers surreal zu entfremden. Ähnlich wie beim Collageverfahren fügt sie Bildelemente aus unterschiedlichen Kontexten zusammen und überführt diese in einen neuen Handlungsrahmen. Im Fall von „Draperien“ kombiniert sie das Maskenquartett mit einer reduzierten Bilderserie, die vier Männerfiguren in Anzügen zeigt. Den uniformen Anzugmännern fehlt der Kopf. Stattdessen baumelt ein im Verhältnis zum Körper viel zu großes Maskengesicht über den Figuren, wodurch sie seltsam verzerrt und grotesk wirken. Jede Figur ist zusätzlich erhöht auf einem Podest dargestellt, was dem Ensemble insgesamt den Charakter einer Skulpturengruppe verleiht.
Wie es der Titel der Wandarbeit „Draperien“ bereits andeutet, hat Britta Jonas hier eine Kunstfigur geschaffen, zusammengesetzt aus den repräsentativen Bedeutungsträgern antike Maske, klassischem Podest, moderner Anzug, die sich gleich auf den ersten Blick als Allegorie der Täuschung, als eine Art „demaskiertes“ Bild zu erkennen gibt.
1 „Die Welt als Schatzkästchen“, Britta Jonas im Gespräch mit Constanze Witt, in: “Britta Jonas: Die Kreistänze der Papagoyen“, Städtische Galerie Dresden, 2008, S. 44.
2 Jean-Luc Nancy, Maskiert und demaskiert, Katalog zur Ausstellung „Masken“, Institut Mathildenhöhe Darmstadt, 2009, S. 13.
3 Erika Simon: „Zur Archäologie griechischer und römischer Masken“, in: „Die Sprache der Maske, Hrsg. Tilo Schabert, Würzburg 2002, S. 18.
4 „Wir sind feiner, subtiler geworden. Die Herdenmenschen mussten sich durch verschiedene Farben unterscheiden, der moderne Mensch braucht seine Kleider als Maske“, behauptet Adolf Loos in seiner 1908 erschienen, damals viel beachteten Schrift „Ornament und Verbrechen“.
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